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Gerhard Marcks - Drei Reisen nach Rom

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Gerhard Marcks in Rom

Der Bildhauer Gerhard Marcks (1889-1981) reiste drei Mal nach Rom: 1935 hielt er sich dort von Januar bis Mai als Stipendiat der Villa Massimo auf. 1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, fuhr er im Spätherbst in die Stadt und war Gast im Kaiser-Wilhelm-Institut für Kunst- und Kulturwissenschaft (heute wieder Bibliotheca Hertziana). Und 1958 erhielt er von März bis Ende Mai als Ehrengast ein weiteres Mal die Gelegenheit zu einem Studienaufenthalt an der Villa Massimo. Sein Verhältnis zu Rom und den alten Römern blieb jedoch distanziert. Stets betonte Marcks die Überlegenheit der griechischen Kultur, die ihm für sein eigenes Schaffen Vorbild war.
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Das Foto zeigt die zwischen 1910 und 1913 errichteten Ateliers im Garten der Villa Massimo. Es entstand im Jahr 1933, zwei Jahre, bevor sich Gerhard Marcks dort aufhielt. Ihren Komfort wusste Marcks zu schätzen, aber die politischen Umbrüche und der zunehmende Einfluss der Nationalsozialisten war spürbar. Ende April 1935 schrieb er an den befreundeten Maler Charles Crodel (1894-1973): "Von hier kann ich Dir nichts besonderes erzählen. Unser Chef [Herbert Gericke] ist wohlwollend, aber jetzt ohne Einfluss. Mach Dir keine Hoffnung. Es wird hier, wenn überhaupt, in anderm Sinne aufgezogen werden. […] An und für sich hat man es hier viel zu gut. Kaffee, Heizung, Atelier, 3 Stuben, Garten, Bad, 200 M monatl[ich], […]. Gearbeitet habe ich verzweifelt wenig, nur in Zwergform. Hoffe aber es war für die Zukunft." (Brief Gerhard Marcks an Charles Crodel, 27.4.1935)
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Figuren in Zwergform

Gerhard Marcks, Reiter zügelnd, 1935, Bronze, Höhe 22,5 cm
Gerhard Marcks, Reiter zügelnd, 1935, Bronze, Höhe 22,5 cm
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Ähnlich pessimistische Stimmungsbilder wie an Charles Crodel schickte Marcks auch an die in Berlin lebende  Bildhauerin Liesbeth Caesar (Lebensdaten unbekannt). Er war von Kriegsahnungen und Arbeitsunlust geplagt: "Noch werde ich ein bißchen hierbleiben, aber unter uns gesagt, ich fühle mich wie […] in Neuruppin [von wo Marcks in den Ersten Weltkrieg gezogen war], und abends muß ich die bösen Geister in Chianti ersäufen. Schließlich habe ich angefangen zu arbeiten – ein Reiterchen vom Galoppatoio [im Park der Villa Borghese] – man sieht dort schöne Offiziere. Und nun will ich im Zoo den Kranich zeichnen; dazu geht man nach Rom." (Brief Gerhard Marcks an Liesbeth Caesar, Rom 13.2.35)
Gerhard Marcks, Reiter zügelnd, 1935, Bronze, Höhe 22,5 cm
Gerhard Marcks, Reiter zügelnd, 1935, Bronze, Höhe 22,5 cm
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Die Stimmung hatte sich auch einen Monat später noch nicht gebessert. Schlafen und Backen, das war sein Zeitvertreib - neben dem Modellieren kleinster Figuren wie dem hier gezeigten "Veroneser Bauern". Hören Sie dazu einen Auszug aus einem weiteren Brief an Liesbeth Caesar vom 9.3.1935.

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Zu den "Grüppchen", die im Zusammenhang mit Marcks' erstem Aufenthalt in Rom zu sehen sind und auf die er in seinen Briefen anspielt, gehört auch diese kleine, 24,5 cm hohe Gruppe von "Zwei Frauen" aus dem Jahr 1935. Die Verdoppelung der schlanken Gewandfigur erlaubte es dem Bildhauer formal den Raum zwischen den Frauen zu betonen und gleichzeitig ihre Zugewandheit zu thematisieren. Ein Guss der Gruppe befindet sich in der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen.

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Ein Lichtblick in Rom war 1935 die engere Bekanntschaft mit dem fast gleichaltrigen Münchner Bildhauer Toni Stadler (1888-1982), der gleichzeitig mit ihm Stipendiat an der Villa Massimo war. Der Sohn des Malers Anton von Stadler (1850-1917) war ein feinsinniger Mensch, der die hochkultivierte Atmosphäre seines Elternhauses für sein eigenes Schaffen als einschüchternde Last empfand. Lebenslang blieb er ein Suchender. In Rom fanden sich Marcks und Stadler in ihrer unbestimmten Ziellosigkeit. Marcks schrieb seiner Frau: "Stadler quält sich sehr rum, einen Sinn in seinem Leben zu sehn, nachdem alles nur wie Schiffbruch erscheint. Ich denke den Sinn kann man wohl nicht sehn, sondern nur glauben. Und man kann ahnungsweise ein höheres Bild schauen, in das sich alle Dissonanzen zur Ordnung fügen. – In lichten Momenten. Aber man muss die Dissonanzen bejahen, erstmal." (Brief Gerhard Marcks an Maria Marcks, Rom 6.2.1935). Im März 1935 fertigte Marcks ein Porträt von Stadler. Dessen Sorgen spiegeln sich in der in tiefe Falten gelegten Stirn. Der abgebildete, 27 cm hohe Bronzeguss befindet sich im Besitz der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen.

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Gerhard Marcks und die römischen Antiken

Gerhard Marcks nutzte seine Aufenthalte in der Ewigen Stadt aber auch, um sich mit verschiedenen antiken Statuen zeichnerisch und künstlerisch auseinanderzusetzen. Mehrmals besuchte der das Reiterstandbild des Marc Aurel, 1958 die Römische Wölfin und 1935, bei seinem ersten Aufenthalt, den Dornauszieher in den Kapitolinischen Museen. Damals reizte ihn besonders die knabenhafte Gestalt der Bronze.
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Rom 1935

Die Sorte Monumentalität wünsch' ich nicht

Gerhard Marcks, Johannes, 1936, Bronze, Höhe 96 cm
Gerhard Marcks, Johannes, 1936, Bronze, Höhe 96 cm
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Marcks hatte allen Grund, sich für seine Arbeiten auf knabenhafte, "unverdächtige" Modelle und das kleine Format zu konzentrieren. Er beobachtete den unter Mussolini voranschreitenden Umbau der Stadt mit Sorge. Schon im Februar 1935 hatte er an seinen Förderer Felix Weise (1876-1961) geschrieben: "Aber nun soll ich monumental werden! Ja, wie macht man das? – Sie wissen, dass mir ganz was andres vorschwebt, als das, was ich schließlich fertigbringe. Aber die Sorte Monumentalität, die in Rom gefällig ist, wünsch’ ich nicht. Die wird’s bald auch in Deutschland genug geben. Indessen möchte ich irgendwo eine Krypta bauen und beplastiken, wo sich jemand hinfände, der den allgemeinen Rummel satt hat." Und er endet mit einem Spruch von Walter von der Vogelweide: "Wer slecht den lewen, wer den riesen, wer überwindet jenen unde diesen? Das ist der sich selber zwinget." (Brief Gerhard Marcks an Felix Weise, Rom 4.2.1935)

Für die rechts abgebildete Figur des "Johannes" entstanden die ersten Modellstudien 1935 in Rom. Marcks modellierte die Figur nach den dort angefertigten Zeichnungen erst im darauffolgenden Jahr in Deutschland.
Gerhard Marcks, Johannes, 1936, Bronze, Höhe 96 cm
Gerhard Marcks, Johannes, 1936, Bronze, Höhe 96 cm
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Gerhard Marcks konnte sich nämlich mit der Stadt, die er 1935 vorfand, nur schwer anfreunden. Zwar erkannte er ihre barocke Schönheit an, aber er tat sich mit den römischen Ruinen und besonders mit der städtebaulichen Entwicklung unter Mussolini schwer. Beide empfand er als kalt.
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Wege aus Rom

Der Bildhauer war ein Kind der Natur. Er beschäftigte sich mit Tieren, mit Pflanzen, mit Landschaft. Obwohl er sein Leben lang in größeren Städten wohnte, gelang es Gerhard Marcks, sich stets Rückzugsorte im ländlichen Bereich zu schaffen. Auch bei seinen beiden längeren Aufenthalten in Rom in den Jahren 1935 und 1958 unternahm er Ausflüge in die Umgebung und bis nach Süditalien. Marcks fotografierte nicht, aber er zeichnete Landschaftseindrücke während seiner Reisen.
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Impressum und Quellennachweis

"Alle Wege führen nach Rom" ist ein Gemeinschaftsprojekt des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Institute e.V. - AsKI, gefördert aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Der Beitrag "Gerhard Marcks - Drei Reisen nach Rom" ist eine Produktion der Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen

  • Konzept, Texte und Redaktion: Dr. Veronika Wiegartz
  • Technische Beratung: David Koch
  • Redaktionelle Mitarbeit: Franz Fechner, Dr. Jessica Popp
  • Tonaufnahmen: David Koch
  • Sprecher: Michael Mienert


Abbildungsnachweis
Soweit nicht anders angegeben: Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen

Hauptstrang
S. 2: Historische Aufnahme der Ateliers der Villa Massimo,  Deutsche Akademie Rom, Villa Massimo, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31165432
S. 3: Timeline Classics / Timeline Images;
S. 5: Robert Dämmig / Berlin;
S. 6, Video: Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen und Hill Media GmbH;
S. 9, Foto "Johannes": Rüdiger Lubricht, Worpswede;
S. 10: Curtius 1934

Erzählstrang "Marc Aurel"
S. 3: Kopie des Marc Aurel, Piazza del Campidoglio, Rom, Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen, und Galerie Rudolf Hoffmann Hamburg (Hg.): Gerhard Marcks. Similia, Hamburg 1964, Taf. 33

Erzählstrang "Dornauszieher und Ragazzo"
S. 2, Video: Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen / Hill Media GmbH Bremen

Erzählstrang "Stadio dei Marmi"
S. 2:  Curtius 1934, Abb. 7

Erzählstrang "Via dell'Impero und Kolosseum"
S. 1, 2, 4: Curtius 1934

Erzählstrang "Ischia 1958"
S.1: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sant_Angelo_-_panoramio.jpg

Erzählstrang "Paestum
S. 2 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Paestum_Wiki_-_Passeggiata_negli_scavi_02.jpg

Die historischen Aufnahmen von Rom entstammen der Publikation:
Ludwig Curtius: Mussolini und das antike Rom, Köln 1934

© für die abgebildeten Werke bei den Künstlern, ihren Erben oder Rechtsnachfolgern
© für die Werke von Gerhard Marcks VG Bild-Kunst, Bonn 2019
© für die Texte bei den Autoren

Der schriftliche Nachlass von Gerhard Marcks befindet sich überwiegend im Deutschen Kunstarchiv (DKA) im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Nachlass Gerhard Marcks.
Die Briefe von Gerhard Marcks an Richard Scheibe befinden sich im Georg Kolbe Museum, Berlin.

Ergänzend sind folgende Publikationen herangezogen worden:
  • Frenzel 1988_Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (Hg.): Gerhard Marcks 1889-1981. Briefe und Werke. Ausgewählt, bearbeitet und eingeleitet von Ursula Frenzel (= Werke und Dokumente N. F. 8), München 1988
  • Semrau 1995_Semrau, Jens (Hg.): Durchs dunkle Deutschland. Gerhard Marcks – Briefwechsel 1933 bis 1980, Leipzig 1995

  • Gerhard Marcks an Felix Weise, Rom 4.2.1935, zitiert nach Semrau 1995, S. 29
  • Gerhard Marcks an Maria Marcks, Rom 6.2.1935, zitiert nach Frenzel 1988, S. 84-85
  • Gerhard Marcks an Erich Consemüller, Rom 17.2.1935, zitiert nach Frenzel 1988, S. 84
  • Gerhard Marcks an Liesbeth Caesar, Rom 9.3.35, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Deutsches Kunstarchiv, NL Marcks, II,C-003; Teilabdruck Frenzel 1988, S. 85
  • Gerhard Marcks an Charles Crodel, Rom 27.4.1935, zitiert nach Frenzel 1988, S. 85
  • Gerhard Marcks an Waldemar Grzimek, Berlin 7.12.1941, zitiert nach Frenzel 1988 S. 110
  • Gerhard Marcks an Richard Scheibe, Rom, 3.4.1958, Nachlass Richard Scheibe, Georg Kolbe Museum Berlin
  • Gerhard Marcks an Hans Purrmann, Rom 12.5.1958, zitiert nach Frenzel 1988, S. 164
Gerhard-Marcks-Stiftung
Am Wall 208
28195 Bremen

Tel.: 0421-989752-0
info@marcks.de
www.marcks.de

Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute - AsKI e.V.Prinz-Albert-Str. 34
53113 Bonn
Deutschland

Tel.: 0228-224859
info@wege-nach-rom.de
www.aski.org
Registergericht: Amtsgericht Bonn Registernummer: 4840

Vertretungsberechtigter Vorstand:
Dr. Wolfgang Trautwein

Plattform der EU-Kommission zur Online-Streitbeilegung: https://ec.europa.eu/odr

Wir sind zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle weder verpflichtet noch bereit

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Das Reiterstandbild des Marc Aurel

Die berühmte Reiterstatue des Marc Aurel auf dem Kapitol besuchte Gerhard Marcks mehrere Male: Aus den Jahren 1941 und 1958 haben sich Zeichnungen und Texte erhalten.
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Marc Aurel aus der Perspektive des Bildhauers

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"Ich habe eben durch eine dreiwöchige Reise meine Kenntnisse von Florenz und Rom aufgefrischt. In Florenz war alles eingepackt, in Rom der Vatikan offen, die ganze Barockstadt in aller Herrlichkeit zu sehen und last not least stand der Marc Aurel frei auf dem Kapitol. An ihm habe ich wiederum studiert und gezeichnet. [...] Und das bringt mich wieder auf unser altes Thema. Die Natur-Auffassung ist das A; das O heißt Proportion, oder höhere Mathematik, oder Gesetz. [...] Der Marc Aurel ist ganz voller Natur. Aber man könnte ihn schrittweise reduzieren, auf eine Pyramide etwa, und immer bliebe er ein großes Kunstwerk." (Brief Gerhard Marcks an Waldemar Grzimek, Berlin 7.12.1941)
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Die römische Wölfin

Das Reiterstandbild des Marc Aurel war nicht das einzige antike Werk, das Gerhard Marcks auf dem Kapitol studierte. 1958 suchte er in den Kapitolinischen Museen auch die berühmte römische Wölfin auf, um sie zu zeichnen.

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Die römische Wölfin. Form und Leben

Gerhard Marcks, Lauernde Wölfin, 1908, Bronze, Höhe ca. 20 cm
Gerhard Marcks, Lauernde Wölfin, 1908, Bronze, Höhe ca. 20 cm
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Gerhard Marcks war ein ausgewiesener Tierplastiker. Trotz einer strengen bildhauerischen Form gelang es ihm, das Wesen der Tiere lebendig zu gestalten. Eine lauernde Löwin gehörte 1908 zu den ersten Plastiken des damals 20-jährigen Bildhauers. Auch an der römischen Wölfin dürfte Marcks fünfzig Jahre später die reduzierte Formensprache und die ornamentale Gestaltung von Details, wie zum Beispiel das Fell am Hals und auf dem Rücken interessiert haben. Die römische Wölfin galt damals als ein etruskisches Werk des 5. Jahrhunderts v. Chr. Diese Zeit entsprach der griechischen Archaik, derjenigen Epoche, die Marcks als Vorbild für sein eigenes Schaffen verehrte. In ihr fand er Form und Leben vorbildhaft vereint.
Gerhard Marcks, Lauernde Wölfin, 1908, Bronze, Höhe ca. 20 cm
Gerhard Marcks, Lauernde Wölfin, 1908, Bronze, Höhe ca. 20 cm
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Dornauszieher und Ragazzo

In den Kapitolinischen Museen entdeckte Marcks auch den "Dornauszieher".  Die im 1. Jahrhundert v. Chr. entstandene Bronze gehörte mit dem Reiterstandbild des Marc Aurel und der Römischen Wölfin zu den Wahrzeichen der Stadt, die bereits während des Mittelalters im Bereich des Lateran aufgestellt waren. Erst 1471 bzw. 1538 gelangten die Bronzen auf das Kapitol. Mit dem "Dornauszieher" setzte sich Marcks bereits bei seinem ersten Romaufenthalt im Jahr 1935 auseinander.
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In diesem Fall zeichnete Marcks die Statue nicht direkt ab, sondern ließ sich von ihrer Haltung zu einem eigenen Werk inspirieren, dem 1935 direkt in Rom entstandenen "Ragazzo". Obwohl die Haltung nicht identisch ist, bezeichnete Marcks die 40 cm hohe Figur in seinem Tagebuch ausdrücklich als "Ragazzo (Dornauszieher)".

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Für den "Ragazzo" saß ein junger Italiener in unterschiedlichen Posen Modell. Am unteren Rand des Blattes notierte Marcks den Namen und die Adresse des Jungen: Ivo Aspromonti, Via Francesco dall'Ongaro 16, Roma.
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Nach Kindern zu arbeiten war Gerhard Marcks gewohnt. Seine eigenen fünf Kinder, damals zwischen 8 und 19 Jahre alt, wurden häufig zum Modellstehen herangezogen. Neben pragmatischen Gründen dürfte es vor allem das Kindliche, Unverfälschte gewesen sein, dass sie für ihn gegenüber professionellen Modellen auszeichnete. In den 1930er-Jahren versuchte Marcks überdies sich mit einer solchen Modellwahl vom faschistischen Zeitgeist heroischer Männer zu distanzieren.
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Rom 1935

An welche Sorte "Monumentalität", der er nicht entsprechen wollte, mochte Gerhard Marcks 1935 gedacht haben? Vielleicht an das neue, 1933 eröffnete Stadio dei Marmi auf dem Foro Mussolini? Marcks erwähnt in seinen Briefen nicht, ob er den Weg zum Fuße des Monte Mario eingeschlagen hat. Ganz eindeutig aber stand das neue Forum und mit ihm das Stadion im öffentlichen Interesse und wurde auch von den deutschen Zeitgenossen sehr genau registriert.
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Stadio dei Marmi

Rom, Stadio dei Marmi, Foto 2007
Rom, Stadio dei Marmi, Foto 2007
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Als begeistertes und anbiederndes Beispiel der Rezeption, das die städtebauliche Entwicklung unter dem Faschismus preist, kann folgendes Zeugnis gelten. Es handelt sich um den Schluss eines 1934 publizierten Vortrags, den Ludwig Curtius, der damalige Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, im Dezember 1933 in Kooperation mit dem Petrarca-Haus in der Kölner Universität hielt. Der Vortrag trug den programmatischen Titel "Mussolini und das antike Rom". Dort heißt es:

"Ein Blick gehört zum Schluss in unser System des wieder lebendigen antiken Rom im Modernen, ein Blick auf das Foro Mussolini. Nicht die Arena für die Sportkämpfe als solche [...] sondern ihre besondere Form [...]. Von neunzig Kolossalstatuen, jede einzelne die Stiftung einer Stadt Italiens, wird sie wie von einem Kranz eingefasst, und jedes Land mag die Bildhauer beneiden, denen ein so wunderbarer Auftrag in den Schoß fiel. Es gibt kein anderes Beispiel auf der Welt, in dem die antike Tradition der Verbindung der Gymnastik mit der bildenden Kunst so mutig, so großartig wieder aufgenommen ist wie hier. Wieder wandelt man, wie in Olympia und Delphi, unter einem Geschlecht steinerner und bronzener Athleten einher. Aber freilich, diese modernen Riesen, im ganzen genommen eine vorzügliche dekorative Lösung, gleichen, als einzelne betrachtet, ihren griechischen Ahnen sehr wenig. Trotz ihrer ungeheuren Körper, in denen sich der ganze moderne Lebenswillen ausspricht, stehen sie merkwürdig befangen, ja wie gefangen in irgendeiner Art von Willenslosigkeit da, stumm beredte Söhne einer Kunst, die, wie Prometheus, zwar neue Menschen schafft, aber den Gott noch nicht gefunden hat, der ihnen die Seele einhaucht." (Ludwig Curtius: Mussolini und das antike Rom, Köln 1934, S. 22-23)

Was sich zum Schluss wie eine versteckte Kritik liest, ist jedoch nur die Steigerung hin zu einer Klimax, in der das Italien Mussolinis und das Deutschland Hitlers als dem römischen Reich überlegen geschildert werden, weil die beiden Länder von einem "geeinigten [...] Volkstum der Nation" getragen würden. Kritischere Geister, wie Gerhard Marcks, dürften die in den Statuen des Stadions enthaltene Hybris jedoch kaum entgangen sein.
Rom, Stadio dei Marmi, Foto 2007
Rom, Stadio dei Marmi, Foto 2007
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Mussolinis Eingriffe in die Stadt betrafen jedoch nicht nur die Peripherie, sondern auch das antike Zentrum. Auf ihn geht die Anlage der Via dell’Impero, der heutigen Via dei Fori Imperiali, in den Jahren 1931 bis 1933 zurück, die den Palazzo Venezia, den damaligen Sitz des "Duce", und das "Monumento a Vittorio Emanuele" quer über die antiken Foren hinweg schnurgerade mit dem Kolosseum verbindet. Die neue Achse begrub viele antike und sie zerstörte mittelalterliche Strukturen der Region.
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Das Kolosseum jedenfalls, von Mussolini markant in die Sichtachse gerückt, bedeutete für Gerhard Marcks nicht römische Größe, sondern den Höhepunkt römischer Barbarei, an den die Gegenwart unmittelbar anzuknüpfen schien. In Briefen an den Architekten Erich Consemüller (1902-1957) und den Maler Charles Crodel (1894-1973) brachte er seinen Unmut und seine Befürchtungen zum Ausdruck:

"Heute bin ich wieder in Rom rumgestiegen, im Kolosseum und den Nachbarruinen. Ich hasse die Römer schon wegen des Kolosseums, wenn ich mir diese Menschenopfer vorstelle, die sie jahrhundertelang stupide-sadistisch dort feierten. Dann mag ich an dem Bau auch nichts gutes finden, so anständig er gebaut ist." (Brief Gerhard Marcks an Erich Consemüller, Rom 17.2.1935)

"Rom - ich hasse die Römer, die Banausen waren und bleiben. Ergriffenheit habe ich nur im Carceri Mamertinus verspürt; und im Forum längs stehn Imperatoren von verzweifelt moderner Statur. Das Colosseum steht als ewige Kulturschande und zur Nacheiferung. Mein Herr, gehn Sie wieder in die Katakomben!" (Brief Gerhard Marcks an Charles Crodel, Rom 27.4.1935)
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Auch in einem Brief an den Maler Charles Crodel (1894-1973) vom 24.4.1935 brachte er seine innere Distanz zu den Römern zum Ausdruck. Seine dort formulierte Verachtung für das Kolosseum können Sie unten hören.

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Wege aus Rom

Ischia 1935

Gerhard Marcks, Ischia, St. Angelo, 1935, Bleistift, 138 x 178 mm
Gerhard Marcks, Ischia, St. Angelo, 1935, Bleistift, 138 x 178 mm
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1935 floh Gerhard Marcks aus Rom nach Ischia. Er fuhr zweimal dorthin, Anfang April sowie Mitte Mai und hielt sich ungefähr vier Wochen dort auf. Den Tipp erhielt er von dem befreundeten Maler Werner Gilles (1894-1961), der auf Ischia sein persönliches Arkadien gefunden hatte. Die Landschaft, die Schönheit der Menschen und die Idylle des Fischerorts St. Angelo beschworen das antike Griechenland in ihm herauf. Gerhard Marcks empfand es wohl ähnlich, aber er genoss vor allem die Ruhe und den Strand.
Gerhard Marcks, Ischia, St. Angelo, 1935, Bleistift, 138 x 178 mm
Gerhard Marcks, Ischia, St. Angelo, 1935, Bleistift, 138 x 178 mm
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In der kargen Landschaft von Ischia faszinierten ihn besonders die Höhlen, deren von tiefen Schatten bestimmten Eingänge er mehrmals zeichnete, wie zum Beispiel die Zugänge zur "Cava oscura".
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Tarquinia 1958

Gerhard Marcks, Sarkophag der Eheleute, 1958, Bleistift, 130 x 180 mm
Gerhard Marcks, Sarkophag der Eheleute, 1958, Bleistift, 130 x 180 mm
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„Tarquinia haben wir besucht, wunderbar am Meer gelegen über einer grünen Ebene vor den Bergen. Ein Fraß für Landschaftsmaler – aber die gibt’s nicht mehr. Die Gräber der Etrusker, dieser alten Klamottenfritzen, sind mehr interessant als schön – mit Griechischem nicht in einem Atem zu nennen. Der Reiz des Primitiven, immer wiederholt, verliert bald an Wirkung.“ (Brief Gerhard Marcks an Richard Scheibe, Rom, 3.4.1958, Georg Kolbe Museum Berlin) In einer Zeichnung hielt Marcks die von ihm bewunderte landschaftliche Lage von Tarquinia fest. Und wenn er auch gegenüber seinem Bildhauerkollegen und Freund, Richard Scheibe (1879-1964), die etruskische Kultur gegenüber der griechischen herabsetzte, ließ er sich nicht davon abbringen den berühmten, um 520 v. Chr. datierten, etruskischen Sarkophag der Ehegatten aus Cerveteri zu zeichnen, der sich in Rom im Museo Nazionale di Villa Giulia befindet.
Gerhard Marcks, Sarkophag der Eheleute, 1958, Bleistift, 130 x 180 mm
Gerhard Marcks, Sarkophag der Eheleute, 1958, Bleistift, 130 x 180 mm
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Via Appia 1958

Gerhard Marcks, Via Appia, 1958, Bleistift, 130 x 192 mm
Gerhard Marcks, Via Appia, 1958, Bleistift, 130 x 192 mm
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„Jetzt wollen wir uns auf die Landschaft stürzen. Aber‚ das ist Italien nicht mehr, das ich mit Thränen verliess‘! Auf der Via Appia antica wandert man zwischen Wolkenkratzern und das alte Pflaster ist unter Asphalt verschwunden, für die Autos. Die Campagna, wüst wie ehedem, hat sich weit zurückgezogen.“ (Brief Gerhard Marcks an Richard Scheibe, Rom, 3.4.1958, Georg Kolbe Museum, Berlin). Einige Tage später, am 8. April, war Marcks jedoch erneut dort und trug auch einen Skizzenblock mit sich. Eine der beiden dort entstandenen Veduten hält vermutlich die baulichen Reste des Maxentiuszirkus aus dem frühen 4. Jh. fest, die andere den Rundbau des Grabmals der Cecilia Metella aus dem 1. Jh. v. Chr. Bei beiden Zeichnungen kam es Marcks mehr auf den landschaftlichen Eindruck als auf die exakte Wiedergabe der Ruinen an. Beim Turm des Zirkus ist das Fenster im oberen Bereich nicht mehr geschlossen, am Grabmal der Cecilia fehlt der mittelalterliche Zinnenkranz.
Gerhard Marcks, Via Appia, 1958, Bleistift, 130 x 192 mm
Gerhard Marcks, Via Appia, 1958, Bleistift, 130 x 192 mm
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Zu den Ausflügen in die nähere Umgebung von Rom gehörte 1958 auch Palestrina, das antike Praeneste. Es liegt ca. 37 Kilometer östlich von Rom terrassenförmig am Hang des Monte Ginestro und bietet einen Blick bis nach Rom und auf die Albaner Berge. Das Foto zeigt Marcks, im Hintergrund seine Frau Maria und zwei weitere Ausflügler.
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Paestum 1958

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Ende April 1958 fuhr Gerhard Marcks nach Paestum und besichtigte den dorischen, um 450 v. Chr. entstandenen Poseidontempel, einem der am besten erhaltenen griechischen Tempel überhaupt. Er hatte das berühmte Bauwerk bereits ein Jahr zuvor im Rahmen einer Sizilienreise gesehen und kehrte nun begeistert zurück. Der Tempel stand für die griechische Kultur, die er verehrte, und verkörperte in seinen klaren Proportionen einen Höhepunkt der antiken Baukunst.
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Auch an den Maler Hans Purrmann (1880-1966) schrieb er am 12.5.1958, von seiner Begeisterung. Seine Worte können Sie unten hören. Die Inspiration, die vom genius loci ausging, hielt an. 1963 erschienen fünf Gesänge der "Odyssee" mit Holzschnitten von Marcks.

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Sardinien 1958

Gerhard Marcks, Pula, 1958, Bleistift, 120 x 193 mm
Gerhard Marcks, Pula, 1958, Bleistift, 120 x 193 mm
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Mitte Mai fuhr Gerhard Marcks von Rom aus für fünf Tage nach Sardinien. Dort entstanden verhältnismäßig viele Landschaftszeichnungen, die seinen Weg von Cagliari nach Pula mit der auf einer Halbinsel vorgelagerten, antiken Stadt Nora aufzeigen. Der Bildhauer interessierte sich vor allem für die Struktur der Landschaft. Mehrmals zeichnete er die Weite des Meeres mit Buchten und Landmarken, wie hier den auf der Spitze der Halbinsel von Nora liegenden Festungsturm aus dem 16. Jh. An den Bergen faszinierten ihn die tief eingeschnittenen Täler, die die Landschaft rhythmisieren.
Gerhard Marcks, Pula, 1958, Bleistift, 120 x 193 mm
Gerhard Marcks, Pula, 1958, Bleistift, 120 x 193 mm
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